Kurze Beiträge zu knackigen Themen

“Wenn mich die Situation [in der Ukraine] doch nicht so unsagbar belasten würde…”
“Ich finde keine Ruhe mehr – ständig kreisen meine Gedanken um den Krieg…”

 

Sehr häufig lese ich in diesen Tagen in Beiträgen und Kommentaren, dass Menschen durch die Situation in der Ukraine enorm getriggert werden und dies als über die Maßen belastend empfinden.

Dieser Beitrag wendet sich vielleicht eher an die Menschen, deren Eltern noch selber eine Kriegssituation erleben mussten – und ich möchte gerne ein Verständnis dafür vermitteln , was sich bei vielen von uns, die wir darüber hinaus noch in einer fundamentalistischen, evangelikalen Gemeinde aufgewachsen sind, im Kopf eigentlich gerade abspielt. Warum uns diese Situation auf eine so ganz besondere Art und Weise belasten kann – und auch, was wir tun können, damit wir jetzt nicht von unseren Gefühlen “überwältigt” werden.

Wenn du zu den Personen gehörst, die ich ansprechen will, dann möchte ich dich bitten, diesen Beitrag mit einer gewissen Form von Neugierde zu lesen, um etwas darüber zu erfahren, was vielleicht gerade in dir vorgeht. Auf diese Weise kannst du zum Beobachter deiner Gedanken und Gefühle werden – und bereits etwas Abstand gewinnen.

 

3 Dinge sind es primär, die die an sich schon schlimme Kriegssituation in uns noch einmal zusätzlich “verschärfen” können, die aber nichts mit der tatsächlichen Lage zu tun haben:

  1. Ich selber gehöre zu der Generation, deren Eltern den letzten Weltkrieg auf eine ganz schreckliche Weise erlebt haben. Mein Opa, der eine zeitlang mit uns zusammenlebte, hat darüber hinaus auch den ersten Weltkrieg erlebt – und es ist für mich völlig nachvollziehbar, dass ihre Berichte aus ihrem Leben und noch viel mehr ihre “besondere Art des Nichterzählens” schrecklicher Dinge auch eine Prägung in meinem Leben hervorgerufen haben.
  2. In den evangelikalen Kreisen (in denen auch ich aufgewachsen bin), waren Begriffe wie “Endzeit”, “Antichrist”, “Christenverfolgung” oft sehr eng mit der Sowjetunion/Russland verbunden. Ich erinnere mich an kleine Schriften, in denen das Weltgeschehen aus der Sicht der Offenbarung “gedeutet” wurde. Und immer war “der Ostblock” mit im Spiel. Wir sind mit diesem Bild aufgewachsen, dass wir “jetzt” in der Endzeit leben. Machen wir uns nichts vor: In unserem Gehirn sind diese “speziellen Bausteine der Angst” noch vorhanden.
  3. Und dann gibt es die ganz normalen Prozesse in unserem Nervensystem, welches in Bildern und Mustern denkt, wenn es mit den aktuellen Bilder konfrontiert wird:
    • In einem Film können wir die gleichen Bilder sehen, sind aber zu einem gewissen Prozentsatz zu einem “Reframing” in der Lage: Wir können uns sagen, dass es nur ein Film ist und die Spannung vielleicht sogar genießen. Dieses Reframing findet jetzt aber nicht statt.
    • Auf der Weltkarte erscheint Russland flächenmäßig überwältigend groß – und liegt geografisch gesehen auch höher als Deutschland. Es ist nachvollziehbar, dass unser Gehirn dies als Bedrohung deutet…
    • Die Nähe des Krieges bedeutet für unser Gehirn eine Zunahme dieser Bedrohung – und es sorgt für eine noch höhere Wachsamkeit und Anspannung

Jetzt ist es leider so, dass Menschen, die unter einem (religiösem) Trauma leiden, einen “besonderen Blick” für weitere Traumata haben und sich ihnen “öffnen”. Es ist dann so, als wenn das eigene belastete System nach immer weiteren Begründungen für diese Belastung sucht – und jetzt wieder etwas gefunden hat.

Du siehst, aufgrund unserer besonderen Geschichte “erlebt” unser Körper die aktuelle Situation viel intensiver.

 

WAS KANN ICH NUN TUN?
Wenn du von den Nachrichten immer wieder getriggert wirst, möchte ich dir gerne ein paar ganz praktische Tipps zum Ausprobieren mitgeben, wie du die Last in deinem Körper reduzieren kannst und gleichzeitig informiert bleibst:

  • Schau dir nur ein- oder maximal zweimal am Tag Nachrichten an! Es ändert nichts und hilft auch niemandem, wenn du 5x am Tag die gleichen Informationen erhältst
  • Informiere dich gut über den Autor, wenn du in den sozialen Medien Berichte liest. In sehr vielen Fällen geht es dabei mit einer hohen Priorität um die Sichtbarkeit des Autors – und oft wird versucht, dies einfach durch Dramaturgie zu erreichen. Entscheide darüber, ob du das Ergebnis in dir zulassen willst
  • Wenn du einigermaßen gut Englisch kannst, schau dir englische Nachrichten an. In den meisten Fällen ist dieser “Kanal” in deinem Kopf nicht von Angst “belastet”
  • Vielleicht kannst du dir auch eine zeitlang angewöhnen, Nachrichten nur zu lesen. Damit schonst du sowohl deinen akustischen als auch deinen visuellen Sinneskanal, die beide für Angstsituationen sehr “anfällig” sind. Gelesene Informationen dagegen gelangen erst über eine Art Übersetzung in unser Stammhirn

 

Und generell : Geh jetzt besonders sorgsam mit dir um. So, wie du mit deinem Kind umgehen würdest und vermittle deinem Körper das Gefühl von Sicherheit. Das kannst du zum Beispiel durch folgende kleine Übung erreichen: Schau dich in Ruhe in deinem Zimmer um, nimm einen tiefen Atemzug mit einem erleichterndem Ausatmen und sag dir mehrfach die Worte: “ Hier und jetzt bin ich sicher ”.

Es mag dich verwundern, aber so hilfst du deinem Nervensystem auf eine ganz natürliche und liebevolle Art, sich wieder zu regulieren.

Wahrscheinlich wird dir nicht jeder der Tipps sofort helfen – aber manches wird dich vielleicht auch überraschen…

 

Geh sorgsam mit dir um!

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